Frauen vor Gericht: 20 Reportagen (German Edition) by Biermann Brigitte

Frauen vor Gericht: 20 Reportagen (German Edition) by Biermann Brigitte

Autor:Biermann, Brigitte [Biermann, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Reportagen
Herausgeber: Ch. Links Verlag
veröffentlicht: 2014-08-19T04:00:00+00:00


Suff, Sex und Schläge

Tatvorwurf: Mord

Alter der Täterin: 21 Jahre

Verhandlungsdauer: 4 Tage

Der Saal des Landgerichts Neuruppin ist doppelt gesichert durch Viererposten. Man kennt die Besetzungsliste des zu verhandelnden Dramas nur allzu gut.

Sandra Kahle, geboren 1973 in Hennigsdorf bei Berlin, Mutter eines fünfjährigen Sohnes und ohne abgeschlossene Ausbildung, ist angeklagt, ihren Freund, den 28jährigen Karsten Schütt, durch 150 Stiche mit Küchenmesser und Schere umgebracht zu haben.

So wie sie da im Gerichtssaal sitzt, würde man ihr nicht mal einen Ladendiebstahl zutrauen. Aber damals, als sie mit Karsten ging, trug sie noch keinen straff gebundenen Pferdeschwanz, sondern kurze Stoppeln, statt der eleganten Absatzschuhe Doc Martens, Jeans und Bomberjacke anstelle des weißen Lederkostüms. Ob die langen, lackierten Fingernägel schon dazugehörten? Der Nasenstecker sicherlich. Sandras Lebensziel hieß Spaß, den sie auf Feten fand, und weil es »als einzige Nüchterne auf ’ner Party schon sehr belastend ist«, beugte sie einer solchen Belastung mit Apfelkorn und Wodka, mit Speed, Koks und Hasch vor. Kam ihr einer dumm, gab’s Mische: Mädchen klatschte sie rasch mal eine mit der flachen Hand, Jungen bekamen ihre Stiefel zu spüren. Der Strafregisterauszug, den die Vorsitzende Richterin verliest, würde einem 35jährigen Kerl zur Ehre gereichen: Fahren ohne Führerschein, unerlaubter Munitionsbesitz, Mißhandlung, Urkundenfälschung, Randalieren, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Sandra war zur Tatzeit 21 und die Beziehung des stadtbekannten »Chaotenpaares« ein Reigen aus Rausch, Sex und Gewalt.

Jener Dezembernacht, die nun vor der Schwurgerichtskammer Neuruppin verhandelt wird, ging für Sandra ein Wochenende voller »Spaß« ohne Karsten voraus. Freitagnacht Disco im Volkshaus, danach eine Party, Samstag Verlobung einer Freundin, die mit Randale endete. Die beiden Freundinnen brachten sich mit fünf Literflaschen Apfelkorn in Stimmung, und weil der nur 20 Promille hat, nahmen sie zwischendurch ein paar Bacardi oder Whisky. Nach einem Sektfrühstück am Sonntagnachmittag ließ Sandra das Wochenende bei einer anderen Freundin mit »einem ollen Bier und drei bis vier Apfelkorn« ausklingen. Bis Karsten aufkreuzte.

Zeugen und Zuschauer zeichnen im Gerichtssaal und während der Verhandlungspausen das Bild eines jungen Mannes, dem jeder, dem sein Körper lieb ist, weiträumig aus dem Weg ging. Ein großer, bulliger Kerl mit Glatze. Die schor er sich, weil ihm schon früh nur ein Haarkranz blieb, so die Mutter. Ein eher schweigsamer Typ, der, wenn er mal redete, rechtsradikale Sprüche klopfte. »Er war eben mehr für det Arische – also Deutschland den Deutschen!« so ein 24jähriger Zeuge. Ein unangenehmer Schläger, der nach acht Schuljahren und einer Maurerlehre ein Jahr lang Arbeit hatte und dann als »Sportfunktionär« der inzwischen verbotenen Nationalistischen Front Bestätigung fand, indem er eine schlagkräftige Truppe für den Straßenkampf ausbildete. Es heißt, daß manche Leute froh seien über seinen Tod. Viele hätten Angst vor Schütt gehabt, auch Sandra Kahle, die ja oft genug mit zerschlagenem Gesicht rumgelaufen sei. Es war bekannt, daß er sie mit Stiefeln und Fäusten traktierte.

»Einmal mußte sie deshalb ins Krankenhaus, aus dem sie ausrückte«, bestätigt Sandras Mutter dem Gericht. »Sie sah so furchtbar aus, das Gesicht zugeschwollen, blau und grün, daß ich sie gleich wieder im Krankenhaus abgab.« Allerdings weiß man auch, daß Sandra dem Karsten schon mal ein Messer in den Rücken gejagt hat.



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